Bringt es uns etwas, Menschen zu hassen, nur weil sie einen Fehler gemacht haben, der uns verletzt hat?
Es machen alle Menschen im Leben Fehler, die andere Menschen verletzen. Würden wir alle Menschen hassen für Fehler die sie gemacht haben (und andere verletzt haben), würden wir bald einmal alle Menschen hassen – einschließlich uns selbst.
Hass, Wut sowie Bitterkeit auf bestimmte Personen/Situationen werden mit den Jahren schwächer, doch wenn es uns an der Bereitschaft fehlt zu vergeben, bleiben sie immer ein Teil von uns. Der Schlüssel für das Vergeben liegt weniger im Verstreichen der Zeit, als im Verständnis beider Seiten.
Viel zu oft betrachten wir Vorfälle mehr von unserem Standpunkt aus und weniger aus der Sicht des/der anderen. Es ist, als würden wir nur eine Seite der Medaille betrachten. Die Wahrheit einer Situation hat mehrere Seiten … unsere Sichtweise und die Sichtweise des/der anderen. Dass es zu einem Konflikt kommt bedarf es mehrerer Beteiligter. Alle Beteiligten haben ihren eigenen Lebenshintergrund, eine individuelle Betrachtungsweise, eigene Interessen, Ängste, Wünsche – genauso halt wie wir.
In den meisten Fällen hat die andere Person uns auch nicht mit Absicht verletzt, sondern vielmehr in der Situation im eigenen Interesse gehandelt – und dabei nicht an uns/andere gedacht. Uns mit Absicht zu verletzen oder zu schaden ist etwas Anderes. Dies würde nach entschiedenem (respektvollem) Setzen von Grenzen verlangen.
Manchmal verletzen uns Menschen zutiefst und wir wollen überhaupt nicht verzeihen. Zu sehr lockt die Rache und der Wunsch, dem Menschen die Verletzung vorzuhalten, die Schuld zuzuweisen und das Verhalten nachzutragen. Im schlimmsten Fall bis zur Vergeltung. Man schleppt den Groll lieber mit sich herum – und bei jeder Situation, die auch nur den Hauch von Ähnlichkeit hat, kommt er wieder – der Groll – und er vernichtet alles, was im Entferntesten an den Willen zur Vergebung erinnert. Der (gerechte) Zorn hält gefangen und zieht einen in eine negative Spirale nach unten und lässt einen so schnell nicht los.
Dass wir uns mit Hass-, Grollgefühlen und Verachtung nichts Gutes tun, bekommen wir bald zu spüren. Unser inneres Gleichgewicht bröckelt, es liegt uns im Magen, raubt uns den Schlaf, den Hunger und jede Freude. Er lässt die Gedanken nur um den „Vorfall“ kreisen und macht uns erschöpft und müde.
Befreien kann man sich nur selbst. Leider gibt es nur eine sinnvolle Möglichkeit, den Teufelskreis zu schließen: die Vergebung.
Ein chinesisches Sprichwort besagt: „Wer nicht vergibt, der wird nicht glücklich”.
Solange wir nicht vergeben können und eine vergangene Verletzung nicht loslassen, fühlen wir Groll. Wir denken negativ – sobald wir in Gedanken bei der belastenden Erfahrung sind. Und folglich fühlen wir negativ, wenn wir daran denken. Die Frage ist, ob wir verurteilen und es und dadurch schlecht geht oder ob wir uns mit dem was uns kränkt auseinander setzen.
Es wäre wichtig, uns mit der eigenen Kränkung auseinander zu setzen und mit unseren Gefühlen. Dann bleiben wir bei uns selbst und bekommen „Klarheit“ über unsere Gefühle. Wenn wir das schaffen, können wir gegenüber dem/der anderen auch ehrlich Stellung beziehen. Das gibt uns Gelegenheit, wenn sich die Wogen geglättet haben, die Sichtweise des anderen kennenzulernen, zu akzeptieren und zu verstehen.
Denn genauso wie wir hat ein anderer Mensch eine eigene Meinung und Recht darauf. Sind wir jedoch überzeugt, dass unsere Sichtweise „richtiger“ oder „besser“ ist, fehlt uns dieses Verständnis für die Meinung des anderen und wir beginnen vielleicht zu verurteilen. Wir reduzieren unsere Möglichkeit, Konflikte zu lösen. Dann ist eine Option die Rache, das Abwenden oder Schmollen.
Die Meinung des/der anderen darf genauso stehen bleiben wie unsere Meinung.
Das heißt nicht, dass ein anderer Mensch das Recht hat, uns zu verletzen. Höchst wahrscheinlich wurden wir nicht mit Absicht verletzt, sondern der andere hat im eigenen Interesse gehandelt – und dabei nicht ans uns gedacht.
Vielleicht stimmt ja die Theorie, dass alles, was uns im Leben widerfährt einen Sinn hat. Dass Situationen, die uns wieder und wieder fuchsen, so lange wiederkehren, bis wir uns ihnen stellen. Und Widersacher/Feinde können uns nur ins „Gehege“ kommen, um uns zu zeigen, woran wir arbeiten sollten. Man könnte glauben, das Leben bestünde nur aus einer Aneinanderreihung von Prüfungen, die uns zeigen, wo wir stehen.
Würden wir beginnen, uns für jedes Unrecht zu rächen, das uns widerfahren ist, wäre am Ende die ganze Welt blind und zahnlos, sagte einst Mahatma Gandhi. Rache bringt dem Herzen keinen Frieden, sondern als Antwort womöglich nur wieder Rache. Rosenkriege, Glaubenskriege, die Camorra, sind aktuelle Beispiele, dass Rache zu einem ewigen Teufelskreis führen kann.
Wenn unser Herz einmal von Groll und Hass erfüllt ist, reduziert sich der Platz, der uns für Liebe und Glück bleibt. Wir (alleine) tragen die Belastung durch Hass, Verurteilung und Wut mit uns. Verzeihen befreit von dieser Last. Und es ist notwendig zu verzeihen, wenn wir glücklich sein wollen. Wenn wir unsere Kränkungen und Verurteilungen (spüren und) loslassen können, erfahren wir Freude und Glück.
Vergeben heißt, die Tafel zu säubern, alles darauf fortzuwischen. Es heißt auch, die Wut (dass die anderen ganz anders sind als wir es erwarten) und das Verdammen genauso behutsam loszulassen wie man eine schwere Last loslässt und abstellt.
Die Vergebung und das Verständnis beider Seiten ist eine demutsvolle Erfahrung.
Die Last der Erwartung, wie andere Menschen sein/denken sollen (weil wir/die Gesellschaft das so wünscht) belastet genauso schwer wie die Last des Grolls. Beides drückt nieder. Lassen wir sie los, haben sie keine Macht mehr über uns. Und wir sind frei davon.
In Konfliktsituationen geht es immer auch um die eigenen Schattenanteile. Können wir diese sehen, ist es leichter, zu verzeihen und sich zu versöhnen. Vorurteile sind Herausforderungen, uns zu weiterzuentwickeln und aufzuhören, uns mit dem „Opfer“ zu identifizieren.
Gelingt uns dies nicht und wir sind überzeugt, dass ein anderer „Schuld“ ist an einer bestimmten Situation, delegieren wir damit 100% Verantwortung an den anderen. Ist dies fair? Vielleicht war unser Anteil an der Situation, dass wir Grenzverletzungen zugelassen haben und unsere Grenzen nicht gewahrt haben. Wenn wir nun die „Schuld“ delegieren, verweigern wir gewissermaßen die Mit-Verantwortung. Das Vergeben ist ungleich schwer, wenn wir nur unsere Seite als gültig anerkennen.
Können wir nicht vergeben und Groll über eine Enttäuschung bleibt ein Teil von uns, dann haben wir – genau um diesen Teil – weniger Platz für Glück im Leben. Es kann uns dadurch so viel Liebe entgehen, so viel Harmonie und Freiheit. Und nur wir selbst versperren uns den Weg dazu.
Vergebung hat eine weitere Facette.
Die Vergebung der eigenen Fehler. Ist es nicht oft so, dass wir uns selbst am schwersten vergeben können und mit uns selbst besonders kritisch und hart ins Gericht gehen?
Wir dürfen uns selbst jederzeit vergeben, wann immer wir einen Fehler machen oder etwas getan haben, das wir später bedauern. Gibt nicht jeder von uns sein Bestes? Wir machen unsere Fehler ja nicht absichtlich, oder? Wir sind Menschen – keine perfekten Maschinen. Und Menschen machen nun mal Fehler.
Ulrich Emil Duprée schreibt in seinem Buch über Selbstheilung, dass Glück, Frieden und Heilung nur entstehen können, wenn ich aktiv nach meiner Resonanz zu einem Problem suche (d.h. die Gefühle von Kränkung, Verletzung mir eingestehe), hundert Prozent für meine Mit-Verantwortung übernehme und mir dann selbst vergebe.
Die Kunst des Vergebens beginnt somit, wenn man bei sich anfängt und seinen Anteil an der Situation anerkennt.
Praktisch heißt das, Abschiednehmen von der Opferrolle, Mit-Verantwortung übernehmen für das was in unserem Leben passiert – und frei werden. Frei werden von den Gefühlen des Grolls, der Bitterkeit und der Wut im Bauch.
Das Gute am Vergeben: Man braucht dazu niemanden außer sich selbst. Und keiner muss sich ändern – außer der Einstellung zur Situation. Ist das einmal gelungen, verzeiht man so ziemlich alles.
Zusammenfassend die vier Schritte zur Vergebung:
- Klären was mich so ärgert oder mir so wehtut.
EHRLICH prüfen, was ich dazu beigetragen habe, dass es zu der Situation und der Verletzung kommen konnte. - Die 100% Bereitschaft wirklich vergeben zu wollen.
- Den eigenen Schmerz bewusst annehmen – ihn weder verdrängen noch verachten.
- Jenen Menschen, den ich verletzt habe um Vergebung bitten – und mir selbst vergeben.
Vielleicht ist es mit dem Satz möglich: „Es tut mir leid. Bitte verzeih mir. Ich schätze/liebe Dich. Danke.“
Quellen:
Warum das Leben kostbar ist (Elisabeth Kübler-Ross, David Kessler)
Ich vergebe – der radikale Abschied vom Opfer-Dasein (Colin Tipping)
Denn Christus lebt in jedem von uns (Paul Ferrini)
Heile dich selbst und heile die Welt – Hooponopono (Ulrich Emil Duprée)
Zeitschrift “active beauty” Juni 2011